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Artikel der NZZ vom 11.
  März 2003
  
    
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        Verlorener Krieg - für alle Seiten? 
         
         Fakhri Saleh 
         
        Arabische Intellektuelle beziehen Stellung zur Irak-Krise 
         
        Der geplante Angriff auf den Irak löst in vielen arabischen Ländern
        Zorn und Unmut aus. Auch die Intellektuellen stellen sich gegen eine
        amerikanische Intervention, üben aber zumindest teilweise auch Kritik
        an den eigenen Institutionen. Fakhri Saleh, Literaturkritiker und regelmäßiger
        Mitarbeiter von "Al-Hayat" und anderen arabischen
        Tageszeitungen, hat einige der wichtigsten Stimmen zusammengestellt. 
         
        Die arabische Welt liegt dieser Tage tief im Schatten der kolonialen
        Vergangenheit. Die Artikel, in denen arabische Intellektuelle zum
        drohenden Angriff der USA auf den Irak Stellung beziehen, beschwören
        die Zeit vor der Unabhängigkeit, als die arabischen Länder während
        mehr als eines Jahrhunderts von westlichen Mächten besetzt waren.
        Dringlichster Punkt in der Diskussion, die nicht nur in Zeitungen und öffentlichen
        Gesprächsrunden, sondern auch im Privaten stattfindet, ist die Befürchtung,
        dass Amerikas Argumente für den Krieg nur wenig mit seinem eigentlichen
        Handeln zu tun haben könnten. 
         
        Diese Frage stellen sich die arabischen Intellektuellen nicht nur im
        Hinblick auf den konkreten Verlauf des Krieges und die Absichten der
        US-Regierung. Ebenso treibt sie die Besorgnis über den Aufruhr um, in
        den die arabische Welt nach der von Amerika geplanten vehementen Attacke
        - in den ersten zwei Tagen sollen 3000 Bomben und Geschosse über dem
        Irak niedergehen - und der folgenden Okkupation des Landes gestürzt
        werden könnte. Darf man den Versicherungen Amerikas glauben, sein
        einziges Ziel seien die Entwaffnung des Iraks und der Sturz von Saddams
        Regime? Oder geht es vielmehr darum, dass mit dem Krieg der Aufstieg
        einer anderen Großmacht verhindert werden soll? Oder ist Amerika vorab
        am irakischen Öl interessiert? 
         
        Handlungsbedarf - aber nicht so 
         
        In einem für die in London publizierte Tageszeitung "Al-Hayat"
        verfassten Text schrieb der Lyriker und Denker Adonis - eine der
        profiliertesten Stimmen der arabischen Welt - , es sei "im
        menschlichen wie intellektuellen Sinn eine Notwendigkeit, Saddam
        Husseins Regime ein Ende zu setzen; denn dieses Regime tut nicht nur den
        Menschenrechten der Iraker, sondern den Menschenrechten schlechthin
        Gewalt an. Wie jede andere faschistische und diktatorische Herrschaft
        ist es eine Pest, welche die ganze Menschheit bedroht. Aber die
        Entmachtung Saddam Husseins dürfe nicht mit der Zerstörung und
        Besetzung des Iraks und dem Zugriff auf dessen Ölreserven einhergehen.
        Zudem spricht Adonis den Amerikanern in der gegenwärtigen Situation die
        politische Glaubwürdigkeit ab: Die USA hätten einerseits maßgeblich
        zur Stärkung Saddam Husseins und anderer undemokratischer Regime in der
        Welt beigetragen, anderseits Initiativen von globaler Tragweite - dem
        Kyoto-Protokoll und dem Internationalen Strafgerichtshof - ihre Zusage
        verweigert; zudem verfügten sie selbst über Massenvernichtungswaffen
        und tolerierten je nach eigener Interessenlage deren Besitz durch andere
        Staaten. 
         
        Adonis schloss seinen Artikel mit der Überlegung, dass Demokratie und
        Krieg geradezu antithetisch sind: Demokratie bedeute Dialog, Differenz
        und Verhandlung, während der Krieg allein auf die Karte der Macht setze
        und dabei Flexibilität und Differenz verunmögliche. Nicht dadurch,
        dass man das Land mit Krieg überziehe, werde im Irak eine Demokratie
        geschaffen; vielmehr müssten dort die Wurzeln einer Kultur von Gewalt,
        Intoleranz und Diktatur freigelegt und zerstört werden. Ein von den
        Amerikanern ins Land getragener Krieg aber, so fürchtet Adonis, wuerde
        den Boden zerstören, auf dem dann Demokratie, Freiheit und der Dialog
        der Kulturen gedeihen könnten. In diesem Sinn bekennt sich der Dichter
        zu jener europäischen Position, die im Krieg nicht den gangbaren Weg
        zum Frieden sieht. 
         
        Auch der im belgischen Exil lebende irakische Intellektuelle Kamel
        Shayyaa ist der Ansicht, dass "Saddams Sturz wünschenswert ist,
        doch dass dies nicht Sache der Amerikaner sein darf". Angesichts
        der geopolitischen Lage und der komplexen inneren Struktur des Iraks
        warnt Shayyaa davor, dass mit dem drohenden Krieg die Büchse der
        Pandora geöffnet würde; er sieht eine lange Phase der Unruhen im Irak
        und in den umliegenden Ländern voraus. Ähnlich argumentiert der ägyptische
        Dichter und Schriftsteller Ahmad Hijazi: Er verurteilt Saddam für die Zerstörung
        des Iraks und die Übergriffe auf muslimische Nachbarländer, sieht aber
        in einem Angriff der USA keine Lösung. Saddam sei nicht der einzige
        arabische Diktator, und die Amerikaner - die gestern wie heute solche
        Regime je nach Interessenlage stützten - seien nicht dazu berufen, nun
        der arabischen Welt Demokratie, Menschenrechte und Gerechtigkeit zu
        bringen. 
         
        Dass in den vergangenen Wochen weltweit Millionen Menschen auf die
        Strasse gingen, um gegen den drohenden Krieg zu demonstrieren, gab den
        arabischen Intellektuellen Rückhalt in ihrer eigenen Kritik am Vorgehen
        der USA. Der ägyptische Soziologe und Politikwissenschafter Sayyed
        Yassin glaubte daraus ableiten zu können, dass "das amerikanische
        Empire zumindest in moralischer Hinsicht den Krieg schon verloren hat,
        bevor der erste Schritt auf diesem neuen Weg zur globalen Hegemonie überhaupt
        getan ist". Der syrische Politologe Mutaa Safadi meint, die
        Demonstrationen gegen den Krieg seien insbesondere in Europa von einem
        "historisch nie gekannten" Ausmaß und signalisierten die
        weitgehende politische Isolation Amerikas; der ägyptische Dramatiker
        Alfred Faraj sieht sogar die ganze Welt in zwei Lager geteilt und hofft,
        die weltweite Friedensbewegung werde als Antidot gegen das "Gift
        des Krieges" wirken. 
         
        In ihren Stellungnahmen gegen den Krieg blenden die Autoren aber auch
        die Kritik an Missständen in der arabischen und islamischen Welt nicht
        aus. Sie akzeptieren die Vorwürfe seitens des Westens, dass nichts
        unternommen werde, um der Verbreitung von Fundamentalismus und religiöser
        Intoleranz Einhalt zu gebieten. Den arabischen Regimen und
        Gesellschaften sei es nicht gelungen, ein Klima zu schaffen, das dem
        Fortschritt und der Demokratisierung zuträglich sei; stattdessen hätten
        sie sich im "Zusammenprall der Zivilisationen" in ein rein
        reaktives und durch innerarabische Konflikte noch erschwertes Rückzugsgefecht
        verstrickt. 
         
        Ein neues Religionsverständnis 
         
        Auf dieser Kritik fußt auch ein für die in London publizierte Zeitung
        "Al-Sharq Al-Awsat" geschriebener Artikel des syrischen
        Denkers Hashem Saleh. Saleh gilt als Experte in Fragen des Islam und ist
        eine der prominentesten Stimmen, die heute eine eigentliche
        Revolutionierung des Religionsverständnisses fordern. Sowohl die religiöse
        Unterweisung als auch das Verhältnis des Islam zu Gesellschaft,
        Politik, kollektivem Bewusstsein und individueller Freiheit müssen laut
        Salehs Beitrag neu interpretiert werden. Doch verweist der Autor - und
        richtet sich damit vorab an die Intellektuellen und die politischen Führer
        des Westens - auch auf einen politischen Faktor, der für eine
        Entspannung zwischen der muslimischen und der westlichen Welt
        unabdingbar sei. Noch wenn eine amerikanische Intervention im Irak das
        ganze geopolitische Szenario des Mittleren Ostens verändern würde, so
        schreibt er, vergäßen die Araber darüber nicht das Drama der Palästinenser.
        Ohne eine Lösung dieser Frage sei auch dem islamistischen
        Fundamentalismus nicht beizukommen. 
         
        Nimmt man der arabischen Welt den Puls, so wird in der Tat das Gewicht
        dieses Anliegens offensichtlich. Während zu fürchten steht, dass ein
        amerikanischer Angriff auf den Irak der Intoleranz, dem Hass und
        letztlich dem Terrorismus Vorschub leisten könnte, würden die Araber
        ein gerechtes und sachliches Herangehen an die Palästinenserfrage im
        Geist der bereits vorliegenden Resolutionen als wichtigen Schritt zur
        Entspannung des Verhältnisses zwischen islamischer und westlicher Welt
        wahrnehmen. 
         
        Neue Zürcher Zeitung,  11. März  2003, Feuilleton; Seite 57 
         
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