In Basra ist der Krieg schon Alltag
          Schwerer Stand für Saddam im Südirak
          Im schiitischen Süden des Iraks schaut
          man einem eventuellen, von den USA geführten Einmarsch gelassen
          entgegen. Saddams Repressionsregime hat hier furchtbar gewütet. Im
          Kriegsfalle können iranische Komplikationen hinzukommen.
          O. I. Basra, 5. März
          Die 580 Kilometer lange Autobahn von Bagdad nach Basra führt
          am östlichen Rand der mesopotamischen Schwemmebene entlang. Schon
          wenige Kilometer ausserhalb der Hauptstadt säumen frisch ausgehobene
          Erdwälle das Asphaltband. Bei Dörfern und in der Nähe von
          strategischen Einrichtungen sind sie wie Pilze aus dem Boden
          geschossen, manche nur einem Mann Platz bietend, andere gross genug für
          einen Panzer. Den oberen Rand schliesst fast immer ein Kranz von
          weissen Sandsäcken ab. Ab dem halben Weg nach Basra stehen alle paar
          hundert Meter kleine Forts, aus denen hie und da das Geschützrohr
          eines Panzers ragt. Die Miniaturburgen sind von weiss getünchten
          Lehmmauern umgeben. Für angreifende Piloten würde sich das alles so
          verlockend präsentieren wie eine offene Pralinenschachtel. Ausserdem
          sind die Anlagen oft eng aufeinander und beidseits der Strasse
          errichtet, so dass sich die Soldaten im Kampf fast zwangsläufig
          gegenseitig unter Feuer nehmen würden.
          
Verteidigung gegen wen?
          Haben die irakischen Militärs immer noch die Strategie
          von starren Infanterieschlachten verinnerlicht? Wissen sie nicht, wie
          amerikanische Kampfflugzeuge in Afghanistan die eingegrabenen Tanks im
          senkrechten Sturzflug spielend ausgestochen haben? Der Anblick der
          untauglichen Befestigungen lässt vollkommen veraltete Vorstellungen
          von einem kommenden Krieg vermuten. In Basra hat ein Mitglied einer
          einflussreichen Familie in einem unbespitzelten Gespräch aber eine
          ganz andere Erklärung für die Befestigungen entlang der Strassen:
          Sie dienen zum Niederhalten der eigenen Bevölkerung und sollen im
          Falle eines Angriffs von aussen verhindern, dass irakische Soldaten
          von Basra nach Bagdad marschieren. Das Oberkommando wisse sehr genau,
          dass es einem aus der Luft geführten Vorstoss nichts entgegenzusetzen
          habe. Basra und der Süden, wo 60 Prozent des irakischen Erdöls gefördert
          werden, seien eigentlich schon aufgegeben. Saddam Hussein verlasse
          sich ganz auf den Häuserkampf in Bagdad.
          
Aus diesem Grund werde der Krieg in Basra viel
          schmerzloser sein, hofft der Gesprächspartner, und er hat den Teil
          seiner Familie, der in Bagdad wohnt, aufgefordert, zu ihm in den Süden
          zu ziehen. In Basra werden 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung in den Häusern
          verharren und abwarten, schätzt der Mann. Nachdem hier 1991 der
          Aufstand gegen Saddam ausgebrochen und man dann von den Alliierten schändlich
          im Stiche gelassen worden war, hätte in Basra niemand mehr Lust, den
          Kragen zu riskieren. Aber 20 Prozent der Männer würden auf Befehl
          des Regimes kämpfen müssen; die Frage sei nur, wie ernsthaft sie das
          tun würden.
          
An Luftalarme ist man in Basra seit 1991 gewöhnt, doch
          mit jedem Tag nimmt das Sirenengeheul zu. Zwar stimmen bei jedem nächtlichen
          Alarm die Hunde noch immer ins Geheul ein, aber die Menschen reagieren
          überhaupt nicht mehr darauf. Niemand richtet beim Sirenenton im Suk
          den Blick zum Himmel oder macht Anstalten, sich in Sicherheit zu
          bringen. Würde eine der Bomben fehlgelenkt und ein ziviles Ziel
          treffen, könnte das fatale Folgen haben. Die Wunden des sinnlosen
          Kriegs gegen Iran und des Golfkrieges sind in Basra immer noch an
          zahlreichen Stellen zu sehen. Dazu kommen die Auswirkungen der
          Sanktionen hinzu, sagt der katholische Erzbischof, Gabriel Kassab: «Die
          Sanktionen sind schlimmer als der Krieg, sie töten Schritt um
          Schritt.» Die Zweimillionenstadt am Shatt al-Arab, durchzogen von
          stinkenden Kanälen, macht einen heruntergekommenen Eindruck.
          
In den trockengelegten Sümpfen
          Das Hinterland von Basra hat sich seit 1991 grundlegend
          verändert. Das Regime hat die riesigen Sümpfe trockengelegt, die
          schon immer ein schwer zu kontrollierendes Territorium dargestellt
          hatten und in die sich nach den Aufständen die Rebellen verzogen
          hatten. Zwar hatte schon die britische Kolonialmacht die Idee der
          Melioration der Sümpfe verfolgt, aber Saddam Hussein ist mit seiner
          üblichen Kompromisslosigkeit und Schnelligkeit vorgegangen. Neben
          Euphrat und Tigris zerschneidet nun der «Dritte Fluss» die südmesopotamische
          Ebene. Die Regierung hat ihn «al-Eizz» getauft, «die Macht». Das
          Leben der hier lebenden Madan, die von Aussenstehenden Sumpfaraber
          genannt werden, ist grundlegend verändert worden. Die mehreren
          hunderttausend Madan lebten einst hauptsächlich von Fischfang und
          machten Jagd auf die reichlich vorhandene Vogelpopulation. Man nimmt
          an, dass sie als Erste auf der Welt den Wasserbüffel domestiziert
          haben.
          
Wo immer man heute im nun ausgetrockneten Sumpf Wasserbüffel
          sieht, ist man nahe einer Siedlung der Madan. Ihre Häuser sind nicht
          mehr aus Schilf auf knapp aus dem Wasser ragenden Anhöhen gebaut,
          sondern aus Lehm und stehen auf staubigen, versalzten Böden. Nachdem
          die Schergen Saddams 1991 furchtbar unter den rebellischen Madan gewütet
          hatten, versucht es das Regime seit geraumer Zeit mit einer «Charmeoffensive»,
          wie ein Beobachter die ungewohnte Umtriebigkeit bezeichnet. Auf einer
          Fahrt von Kurna in das ehemalige Sumpfland bei der iranischen Grenze
          ist zu sehen, wie überall die versandeten Kanäle ausgebaggert worden
          sind, um den Dattelpalmen wieder Wasser zuzuführen. Pumpen bewässern
          die Felder, in einigen Dörfern stehen neu gebaute Schulen und
          Gesundheitsstationen.
          
Im Dorf Um ash-Shewage steht neben dem
          Verwaltungszentrum eines der stattlichen Empfangshäuser der Madan,
          ein Mudhif. Es wird von 15 etwa fünf Meter hohen Schilfbögen gestützt
          und dient Scheich Rashash al-Emara als imposanter Repräsentationsbau.
          Der Notable gibt im überwachten Gespräch an, dass die Madan nie
          irgendwelche Probleme mit der Regierung gehabt hätten, dass sie im
          Gegenteil dankbar für den Fortschritt seien. Dabei ist die
          Unzufriedenheit der Madan über die Zerstörung ihres Lebensraumes
          kein Geheimnis. Al-Emara war früher ein hoher Offizier; nach dem
          Aufstand 1991, an dem er sich nicht aktiv beteiligt hatte, stand er
          jahrelang unter Hausarrest. Nun setzt das Regime wieder auf Stammesführer
          wie ihn.
          
Iranische Komplikationen
          Trotzdem kann im schiitischen Südirak der von Iran aus
          operierende Oberste Rat für die islamische Revolution im Irak (Sciri)
          mit grossen Sympathien rechnen. Wahrscheinlich würden viele den
          Einmarsch der auf 14 000 Mann geschätzten Kämpfer des Sciri
          begrüssen. Ein Gesprächspartner meint allerdings, dass manche säkular
          eingestellten Schiiten der islamistischen Bewegung skeptisch gegenüberstünden,
          denn sie wünschten hier keinen theokratischen Staat. Ausserdem zählen
          sich die Schiiten im Irak zu den Arabern und nicht zu den Persern, mit
          denen sie viele religiöse Aspekte teilen.
          
Zu den Komplikationen im Südirak würde im Kriegsfalle
          auch die Anwesenheit der Mujahedin-e Khalk zählen, der bewaffneten
          iranischen Opposition. Die Volksmujahedin werden von Saddam nicht nur
          aus eingefleischtem Hass gegen das Nachbarland gepäppelt, sondern
          weil sie dem Diktator die Freundschaftsdienste stets mit der willigen
          Erledigung von Blutarbeiten unter der unbotmässigen schiitischen Bevölkerung
          abgegolten haben.