zur Startseite
Aktuelle InformationenListe der KonflikteKartenKontakt sponsored by netZpunkt
Der Konflikt zwischen der UNO und dem Irak
Irak
Aktuelle Situation
Land und Leute
Geschichte
Ausblick
Chronik
Personen
  Links
  Quellen
  Archiv
  Karte
  Suchen
  Nachrichten

Artikel aus  NZZ vom 24. März 2003

 

Kulturgüterraub - und nun noch Bomben?

Die archäologischen Schätze des Iraks in Gefahr

Die Feuersbrunst hatte eine derartige Hitze entwickelt, dass die Lehmziegel zu Stein gebrannt wurden. Nein, nicht während des letzten Golfkriegs, sondern vor vielleicht zweitausend Jahren: Damals war das etwa 30 km südlich von Babylon gelegene Borsippa durch Flammen zerstört worden. Einmal im Jahr wurde zuvor in feierlicher Prozession die Kultstatue Nabus, des Gottes der Schreibkunst, von Borsippa nach Babylon gebracht. Diese prachtvollste Stadt der damals bekannten Welt wollte Alexander der Grosse nach der Eroberung zur Hauptstadt seines Weltreiches machen. Stattdessen fand er dort den Tod.

In der Regierungszeit Saddam Husseins, der sich gern auf den Babylonierkönig Nebukadnezar bezieht, ist Babylon rekonstruiert worden, so dass es wie die orientalische Ausgabe eines Disneyland wirkt. "Macht nichts", meint dazu die irakische Archäologin Selma ar-Radi, "was neu gebaut ist, lässt sich leicht wieder beseitigen." Aber liesse sich Authentisches wie das antike Ischtar-Tor oder das in seiner Abstraktion geradezu modern wirkende Löwenmonument retten, falls hier Bomben fielen?

Grabungsstätten in der Gefahrenzone

Nun liegt Babylon nicht in einer so unmittelbaren Gefahrenzone wie Uruk, die Heimat Gilgameschs. Eigentlich wäre dort jetzt die Saison für Grabungen. Doch Margarete van Ess vom Deutschen Archäologischen Institut, die seit Jahren in Uruk arbeitet, bleibt dieses Jahr in Berlin. Uruk liegt nur knapp 100 km von der Grenze zu Kuwait entfernt, umgeben von Radarstationen. Die Tatsache, dass Uruk und Abrahams Geburtsort Ur in der südlichen Flugverbotszone gelegen sind, hat ohnehin schon dazu geführt, dass im näheren Umfeld der Grabungsstätten Treffer von Kampfflugzeugen der amerikanischen und der britischen Luftwaffe niedergingen. Fast alle ausländischen Grabungsteams haben vor dem Ausbruch des Krieges den Irak verlassen.

Schon nach dem Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre waren Grabungen ausländischer Teams auf Grund der Sanktionen zunächst überhaupt nicht mehr möglich. Etwa zwanzig kehrten dann im Laufe der letzten Jahre wieder zurück; laut Gerüchten waren zuletzt noch die Österreicher, die in Borsippa arbeiten, und die Italiener im Land. Sie waren auch die Ersten, die nach dem letzten Golfkrieg ihre Arbeit wieder aufnahmen. Auch in Hatra, der einzigen unverfälscht erhaltenen Stadt der Parther, setzten die Archäologen ihre Tätigkeit fort, indem sie die Grabung "Forschung" nannten. Hatra mit seinen hellenistisch anmutenden Tempeln und Toren hat freilich unter Saddams Ägide einen Wandel durchgemacht; so stellt Selmas Schwester, die Künstlerin Nuha ar-Radi, in ihrem "Bagdad-Tagebuch" 1995 entsetzt fest: "Der gesamte Eindruck ist verfälscht - Wände und Säulen sind mit seinen (Saddam Husseins) Initialen verschandelt, überall Beton." Hatra liegt wenige Kilometer von Mossul entfernt, auf gleicher Höhe wie Assur. Auch Nimrud und Ninive, dessen älteste Spuren aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. stammen, liegen in der Region, hart an der Grenze zur nördlichen Flugverbots- und kurdischen Schutzzone und damit womöglich in einem künftigen Kampfgebiet. Vielleicht aber sind die archäologischen Stätten, die in unmittelbarer Nachbarschaft von Bagdad liegen, weit mehr gefährdet. Wie die Zikkurat (mesopotamische Stufenpyramide) von Aqqaquf, oder Sippar, wo die grösste bisher bekannte Bibliothek von 500"000 Tontafeln entdeckt worden ist. Oder die immer noch monumentalen Reste des Palastes des Sassanidenkönigs Sapur in Ctesiphon, der alten Hauptstadt Seleukia, die Alexanders General Seleukos um 290 v. Chr. am Tigris hatte anlegen lassen, um Babylon zu schwächen. Könnte das mit einer Höhe von 30"m und einer Weite von 20"m weltweit grösste Tonnengewölbe aus Ziegelmauerwerk, unter dem ein Mensch verschwindend klein wirkt, nur schon den Druckwellen starker Detonationen standhalten?

In Bagdad selbst haben die Mongolen nach ihrem verheerenden Einfall 1258 kaum ein Gebäude der glanzvollen Abbasidenzeit stehen lassen. Die Stadt, die sich danach nie mehr zu alter Grösse erholt hatte, hütet nur wenige archäologisch-architektonische Kleinode - ausser in dem an unvergleichlichen Schätzen immens reichen Irak-Museum. Erst vor gut zwei Jahren hatte es seine Pforten wieder geöffnet, nachdem es vierzehn von den vergangenen zwanzig Jahren geschlossen gewesen war. In den achtziger Jahren tobte der irakisch-iranische Krieg, kurz darauf entfesselte der irakische Angriff auf Kuwait den Golfkrieg.

Die Museumsleitung hatte alle beweglichen Exponate in sichere Unterkünfte abtransportiert. Ende 1999 waren sie fast vollzählig wieder an ihrem Platz. Nur hochwertige Schmuckstücke warteten noch auf neue Vitrinen mit Alarmanlagen, die es vorher nicht gegeben hatte. Nachdem der Antiquitätenschmuggel in den Nachkriegsjahren ungemein zugenommen hatte, wollte man zumindest im Museum die Kleinode vor Raub schützen. Der weltweit florierende Markt mit gestohlenen Kunstschätzen hatte während des Golfkrieges begonnen. Das über den Irak verhängte Embargo, an dem die Regierenden durch illegale Geschäfte kräftig verdienen, begünstigt den Handel mit Antiquitäten, der mit ziemlicher Sicherheit nur dank Rückendeckung von oberster Stelle in solch grossem Ausmass funktionieren kann. Zwar hängt man ab und zu einen kleinen Dealer, doch erweckt das eher den Eindruck eines Ablenkungsmanövers.

Raubbau am Kulturgut

Donny George, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Irak-Museums, möchte darüber natürlich nicht sprechen, so viel er sonst zu erzählen weiss über Schmuggel von Rollsiegeln und antiken Statuen. Es fehlen die Gelder, um Wärter zu bezahlen an verlassenen Grabungsplätzen. Selbst wenn es einen vor Ort gibt, ist er bewaffneten Räubern hilflos ausgeliefert. Nimrud und Ninive sind in besonderem Masse von dieser neuen Plünderung betroffen. Die assyrischen Statuen, zu gross, um intakt abtransportiert zu werden, wurden zerschlagen, um auf dem internationalen Kunstmarkt in Teilen verkauft zu werden. Eine Figur, halb Tier, halb Mensch, war bereits in dreizehn Einzelteile zerlegt, als die Polizei auftauchte. Der Kopf der Statue liegt nun in Bruchstücken zur Restaurierung im Museum - und muss warten.

Angesichts der Kriegsdrohung galt die Sorge der Museumsleiter in den vergangenen Wochen mehr der Rettung ihrer einmaligen Kunstschätze. Mit erstaunlicher Unaufgeregtheit äusserte sich Nawala al-Mutawalli, Vorsteherin der archäologischen Abteilung und Expertin für die sumerische Sprache, noch im Februar über die gefährliche Lage. Wenn es einen erneuten Krieg geben sollte, "nehmen wir so viele Exponate wie möglich heraus und packen sie wieder fort an geheimen Orten", sagte Frau Mutawalli. In jedem Fall wolle man verhindern, dass es wie im letzten Krieg zugehen würde. Da das Museum in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Telefonzentrale liegt, die bombardiert worden war, gingen wertvolle Stücke verloren. Ärgernis jedoch waren die Verluste durch Diebstahl während der chaotischen Zeit des Krieges und der Volksaufstände. Das Résumé 1991: 4000 Exponate fehlten. Seit der Rückgabe einer babylonischen Inschriftentafel durch das British Museum im Jahr 1995 sind es nur noch 3999.

Die meisten der monumentalen Statuen und assyrischen Wandreliefs können nicht entfernt werden. Ähnlich wie im Nationalmuseum von Beirut in den Jahren des Bürgerkrieges mussten sie eingemauert werden. Wie viel Schutz das bietet gegen neueste Waffensysteme, die mit Leichtigkeit mehrere Meter dicke Betonmauern durchschlagen können, sei dahingestellt. Nach Nawal al-Mutawallis Worten ist Krieg das Letzte, was der Irak bei seinen Bemühungen um Schutz historischer Güter brauchen kann. "Amerika spricht von Zivilisation. Dann hätte es einen Krieg verhindern sollen. Alle irakischen Antiquitäten sind einmalig und unersetzbar."

Cristina Erck

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Feuilleton,  24. März 2003, Nr.69, Seite 21

Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG