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  Artikel der NZZ vom 7. März 2003

Saddam Hussein - jahrelang auch vom Westen aufgerüstet

Vor 1990 hatte der Herrscher in Bagdad weltweit willige Helfer

In den siebziger und achtziger Jahren ist der Irak von vielen westlichen Regierungen als Geschäftspartner umworben worden. Frankreich, Deutschland und andere europäische Staaten lieferten massenweise Rüstungsgüter an das Regime in Bagdad. Dabei fand ein gefährlicher Know-how-Transfer im Bereich der ABC-Waffen statt. Nach dem Sturz des Schahs in Iran 1979 unterstützten auch die USA Saddam Hussein.

spl. Auch wenn die Staatenwelt in der Frage, ob ein Krieg gegen den Irak geführt werden soll, zerstritten bleibt, besteht doch weitgehende Einigkeit darüber, dass der Sturz des Regimes in Bagdad wünschenswert ist. Saddam Hussein ist einer der schlimmsten Diktatoren dieser Welt. Die Liste seiner Greueltaten gegen Feinde und Abtrünnige, aber auch gegen die eigene Bevölkerung ist lang, und wenn die Iraker nicht durch einen der repressivsten Überwachungsapparate überhaupt in Schach gehalten würden, käme wohl noch viel Schrecklicheres zutage. So ist aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbar, dass auch westliche Staatsmänner den irakischen Despoten vor nicht allzu langer Zeit hofierten. Noch in den achtziger Jahren gaben sich Vertreter europäischer Regierungen in Bagdad die Klinke in die Hand, und auch die USA bemühten sich um gute Beziehungen zu Saddam Hussein.

Vielversprechender Geschäftspartner

Nach dem Sturz der probritischen Monarchie 1958 verbündeten sich die verschiedenen arabisch-nationalistischen Regime im Irak mit der Sowjetunion, die USA unterstützten die Herrschaft des Schahs in Iran. Mitte der siebziger Jahre stoppte die UdSSR dann aber zeitweilig ihre massiven Waffenlieferungen an den Irak. Zudem verfolgte sie eine restriktive Exportpolitik im nuklearen Bereich und verweigerte Bagdad gewünschte Lieferungen zur Atomwaffenproduktion. Da sich die irakische Führung nicht ausschliesslich von dem Verbündeten aus dem Ostblock abhängig machen wollte und sich zudem in den arabisch-israelischen Kriegen die westlichen Waffensysteme als überlegen erwiesen hatten, sah sie sich nach neuen Verbündeten um.

Durch die Verstaatlichung der Erdölwirtschaft war das Land an Euphrat und Tigris zu einem lukrativen Markt geworden. Als zweitgrösster Exporteur gewann es finanziell und politisch an Statur. Das Regime der 1968 an die Macht gelangten Baath-Partei unter Hasan al-Bakr und Saddam Hussein wurde vom Westen als vielversprechender Geschäftspartner wahrgenommen. So liessen neue Waffenlieferanten nicht lange auf sich warten. In Erwartung hoher Gewinne wurden auch gerne beide Augen zugedrückt, wenn es um Menschenrechtsverletzungen ging.

Ein französischer Atomreaktor

Zu einem der wichtigsten westlichen Partner wurde Frankreich. Die Franzosen hatten selbst im Nuklearbereich weniger Hemmungen als die Sowjets. Mitte der siebziger Jahre schloss Premierminister Jacques Chirac bei einem Besuch in Bagdad einen Vertrag über die Lieferung eines Atomreaktors ab. Das irakische Regime hatte grosses Interesse an der Zusammenarbeit mit einer fortschrittlichen Industrienation im Nuklearbereich, da die irakische Wissenschaft diesbezüglich im Hintertreffen war. Der 1979 gelieferte französische Reaktor Osirak sollte mit hochangereichertem Uran, das auch für den Bau von Atomwaffen von grossem Interesse war, betrieben werden. Er wurde allerdings nie in Betrieb genommen; 1981 wurde er durch den israelischen Luftangriff zerstört. Ab 1977 lieferte Frankreich auch konventionelle Waffensysteme an den Irak, wie etwa Exocet-Marschflugkörper und Mirage-Kampfflugzeuge. Mit dem irakischen Einmarsch in Iran im September 1980 stieg die Nachfrage nach Rüstungsgütern weiter an. In den ersten Jahren des iranisch-irakischen Krieges soll der Irak allein in Frankreich Waffen im Wert von über 10 Milliarden Franken gekauft haben.

Auch deutsche Rüstungskonzerne machten in diesen Jahren gute Geschäfte mit Saddam Hussein. Viele in den Irak gelieferte Waffensysteme waren nämlich deutsch-französische Gemeinschaftsproduktionen. Wegen der restriktiven deutschen Exportregelungen wurden sie über Frankreich vermarktet. Offiziell gab es sonst keine deutschen Rüstungsexporte, doch über verschlungene halblegale oder illegale Wege fanden zahlreiche Rüstungsgüter den Weg in den Irak. Eine deutsche Spezialität war die Lieferung von Dual-Use-Gütern, die für zivile wie auch militärische Zwecke genutzt werden konnten. So lieferten deutsche Firmen etwa Maschinen und Bauteile für die chemische Industrie, die Saddam in seine Giftgasproduktion umleitete. Anfang der achtziger Jahre bauten deutsche Unternehmen bei Samara ein grosses Chemiewerk. Dort sollten nach offiziellen Angaben Pestizide entwickelt werden, in Wirklichkeit wurden aber grosse Mengen kriegstauglicher toxischer Stoffe produziert.

Der Irak als Bastion gegen Khomeiny

Der Einsatz chemischer Waffen spielte vor allem gegen Ende des iranisch-irakischen Krieges eine entscheidende Rolle. Als der Irak 1983 erstmals chemische Waffen gegen iranische Truppen einsetzte, verurteilte die amerikanische Regierung dies und forderte von den europäischen Verbündeten schärfere Exportkontrollen. Sanktionen gegen das Regime Saddam Husseins lehnten allerdings auch die Amerikaner ab. Selbst als die irakische Luftwaffe 1987 C-Waffen gegen die im eigenen Land lebende kurdische Minderheit einsetzte, blieben scharfe internationale Proteste aus. Während der militärischen Offensive gegen die kurdische Minderheit im Norden des Landes sollen zwischen 1987 und 1989 200 000 Kurden getötet und 1,5 Millionen vertrieben worden sein.

Nach dem Sturz des Schahs in Iran 1979 bemühten sich auch die Amerikaner um bessere Beziehungen zum irakischen Regime. 1982 wurde der Irak von der Liste jener Länder gestrichen, die nach Ansicht der USA den Terrorismus unterstützten, und in der Folge wurde dem Irak umfangreiche Wirtschaftshilfe gewährt. Auch Materialien wurden geliefert, die für militärische Zwecke genutzt werden konnten. Der wichtigste Faktor der amerikanischen Unterstützung war aber sicherlich die Versorgung mit Geheimdienstinformationen. Im Krieg gegen Iran waren Satellitenbilder der CIA für den Irak von grossem Nutzen.

Die Aufmerksamkeit in der westlichen Öffentlichkeit war nach der Islamischen Revolution in Iran auf die Greuelgeschichten aus dem Reich Khomeinys gerichtet. Man war irritiert über die zwangsweise Islamisierung der iranischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Mit der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran im November 1979 war das Verhältnis zwischen Iran und den USA an einem Tiefpunkt angelangt. Während 444 Tagen wurden 55 amerikanische Bürger in Geiselhaft gehalten. Der gesamte Westen war danach den iranischen Mullahs gegenüber derart feindselig eingestellt, dass jede Kritik am Irak tabu war. Niemand hinterfragte die massive Aufrüstung Saddam Husseins, solange diese dem Kampf gegen den verhassten Revolutionsführer Khomeiny diente. Allerdings hinderte der klare Positionsbezug der westlichen Regierungen europäische und amerikanische Rüstungsunternehmen nicht daran, auch mit Iran lukrative Geschäfte zu machen. Wie 1986 im Iran-Contra-Skandal bekannt wurde, war auch die Administration Reagan über von Israel vermittelte Kanäle in einen Waffenhandel mit Iran verstrickt.

Von sämtlichen westlichen Staaten wurde der Aggressionskrieg des Iraks gegen das Nachbarland unterstützt oder zumindest wohlwollend geduldet. Man befürchtete, die iranischen Mullahs könnten den strategisch wichtigen Golfraum erobern und damit die wichtigsten Erdölvorkommen der Welt kontrollieren. Neben Frankreich und Deutschland rüsteten in diesen Jahren zahlreiche andere europäische Staaten - so etwa Grossbritannien und Italien - Saddam Hussein auf. Trotz seinen Verbindungen zu den USA wurde der irakische Diktator auch weiterhin von der Sowjetunion unterstützt, und auch die Ölstaaten am Golf griffen Bagdad mit Finanzmitteln unter die Arme.

Gefährlicher Transfer von Know-how

Nach dem Waffenstillstand im Sommer 1988 bemühte sich der Westen weiter um gute Beziehungen zum irakischen Regime und setzte die Waffenlieferungen unbeirrt fort. Der Irak war zu diesem Zeitpunkt mit moderner Waffentechnologie ausgerüstet. Bereits bei der Ablösung des Präsidenten al-Bakrs durch Saddam Hussein 1979 hatte sich das Land weltweit an die Spitze der Rüstungsimporteure gesetzt. 1990 war die Truppenstärke auf eine Million angewachsen; die irakische Armee war besser ausgerüstet als die Armeen Irans, Syriens und sämtlicher Golfmonarchien. Nach Schätzungen des International Institute for Strategic Studies gab das Land zu diesem Zeitpunkt ein Viertel seines Bruttoinlandprodukts für militärische Zwecke aus.

Unter der Administration Bush Vater erreichten die amerikanisch-irakischen Beziehungen ihren Höhepunkt. Washington hoffte, mit Saddam Hussein einen wertvollen Verbündeten in einer geostrategisch wichtigen Region aufbauen zu können. Zwar gab es auch in den USA Stimmen, die vor dem Diktator in Bagdad warnten, doch erkannten Geheimdienste und Think-Tanks erst mit dem irakischen Einmarsch in Kuwait am 2. August 1990, dass Saddam nicht der vernünftige und willige Verbündete war, auf den man zählen konnte.

Der Überfall auf Kuwait führte zu einer radikalen Wende in der amerikanischen und europäischen Irak-Politik. Die Kontrollen bezüglich Waffenlieferungen wurden verschärft. Saddam Hussein, jahrelang gern gesehener Gast in Ost und West, wurde im offiziellen Sprachgebrauch zu einem der gefährlichsten Männer der Welt. Es kursierten Gerüchte - die sich später bestätigten -, dass er an einer Atombombe baue und über grosse Lager von biologischen und chemischen Waffen verfüge. Durch den jahrelangen Transfer von Know-how im Bereich konventioneller wie auch der ABC-Waffen hatte der Irak seine Rüstung auf einen hohen technischen Stand gebracht. Die irakischen Wissenschafter, viele von ihnen waren im Westen ausgebildet worden, waren damals selbst in der Lage, biologische, chemische und im schlimmsten Fall sogar nukleare Waffen zu entwickeln.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 7. März 2003, Nr.55, Seite 5


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